»Architekten Grüntuch/Ernst
einblicke, ausblicke – Arbeiten der letzten 5 Jahre«
Ausstellung: November/Dezember 1997
Eröffnung: 14. November 1997
Aedes Galerie East
Rosenthaler Str. 40/41, 10178 Berlin
Die Neugier auf das Unbekannte oder
Architektur jenseits barer Dienstbarkeit
Jenseits der oftmals beängstigenden Enge deutscher Architekturdiskurse haben sich die Berliner Architekten Grüntuch Ernst einer Architektur verschrieben, die sich noch die lustvolle Suche nach dem Erkunden von Raum und Körper bewahrt hat. In einer Zeit des allgemeinen, beschleunigenden Wandels, in der genius loci, Kontext, Konstruktion oder Funktion häufig zu nicht mehr als rhetorischen Floskeln gefrieren, kulturelle Dogmen und ökonomischer Determinismus die Freiheit der Entscheidung immer stärker einengen, erlauben sie sich eine unerschrockene wie ebenso faszinierende Suche nach den Möglichkeiten der Architektur – oder präziser, was heute Architektur sein könnte, wenn sie ihre Anatomien nicht als Widersprüche, sondern als Quintessenz des Lebens schlechthin begreifen würde.
Der Starre in den Köpfen treten Grüntuch Ernst mit der Aufforderung nach einer neuen sinnlichen Wahrnehmung entgegen, die nicht vor Konfrontationen zurückscheut und sich dazu bekennt, dass es heute mehr denn je einen Grad von Komplexität gibt, der unausweichlich jedes allzu rigide Bemühen um Vereinfachung und Anpassung nur zu Kulissenwelten führen kann. Der vulgär gewordenen Moderne so nicht weniger fremd als der neu-alten Weise von einfachen, ewigen Bauwahrheiten, stehen sie für einen Weg der Minimierung und Optimierung, der Komplexität in eine prozessuale Abstraktion transformiert und anstelle rigider Entwurfsraster den weichen, von Ort zu Ort wechselnden Konfigurationen Kontext, Licht, Luft und Emotionen gestaltbildende Kraft abgewinnt.
Mit konstruktiver Organizität nehmen sie den Dingen das Gewicht und zeigen faszinierende Möglichkeiten auf, die Form der Strukturen wieder gestaltbildend arbeiten zu lassen, das Starre durch das Elastische zu ersetzen. Etwas Schwebendes und Leichtes ist ihren Projekten so immer zu eigen, die Stadtreparatur als offenen Prozess definieren und aus der Interaktion hybrider und kubischer Geometrien räumliche Tiefe und Präsenz zu gewinnen. Mit der visuellen Leichtigkeit ihrer ephemeren Konstruktionen nehmen sie den Materialien jedwede störende Opazität, um zu Sphären einer Intimität zu gelangen, die ganz ohne Ausgrenzung auskommen, die die Außenwelt, die Stadt, die Natur und Menschen explizit in das Bauwerk miteinbeziehen.
Mit allen Mitteln ihrer Zeit arbeitend, den Computer als zentrales Instrument zu komplexer Geometrie und effizienter Planung nutzend, gehen daraus polyvalente Räume und Körper hervor, die zu einer gesteigerten Wahrnehmung, zur individuellen Aneignung auffordern, explizit den Dialog sowohl mit dem Menschen, als auch den vorgefundenen Strukturen suchen. Die Architekten schaffen Orte von unverwechselbarer Identität, die sich bar jeder Anbiederung in den Stadtraum einstellen und darüber hinaus ihre materielle Herkunft aus der Welt der modernen Industrieproduktion selbstsicher visualisieren. Dabei die Gebäudehülle nicht weniger als eine sensible, multifunktionale Haut, denn als einen Raum mit einer eigenen Tiefe der Interaktion begreifend, durchdringen ihre Körper mit schichtenreichen, räumlichen Überlagerungen innen und außen, um neue, sehr vielfältige Möglichkeiten zur Kommunikation zu eröffnen. Eine Kommunikation, der man sich, so hoffe ich, weder in dieser Dokumentation, noch späterhin in der Stadt entziehen kann und mag.
Claus Käpplinger, Vorwort zum Aedes-Katalog „einblicke ausblicke“, 1997